Psychologische Sexualtherapie

Wann ist eine Sexualtherapie sinnvoll?

Die Sexualität einer Person ist so individuell wie sie selbst. Der Geschlechtsverkehr ist für uns Menschen heutzutage weit mehr als reine Fortpflanzung. Sie dient der Bedürfnisbefriedigung und diese kann sehr facettenreich sein. So komplex wie die Bedürfnisse, so komplex fallen auch die potentiellen sexuellen Störungen aus. 
 
Sexuelle Störungen werden in drei Bereiche geteilt: 

·       Sexuelle Funktionsstörungen 

·       Störungen der Sexualpräferenz 

·       Störungen der Geschlechtsidentität 

Löst die sexuelle Problematik/Störung großen Leidensdruck aus - egal ob bei einer Einzelperson oder einem Paar - kann eine psychologische Behandlung sinnvoll sein. 

Was macht man in einer Sexualtherapie?

In einer Sexualberatung/Sexualtherapie werden die sexuellen Störungen und eventuell damit zusammenhängende Probleme behandelt. Je nach Bedarf sind hier Einzel- oder Paarsitzungen indiziert. Welche Behandlungsmethode gewählt wird, hängt stark von der sexuellen Problematik ab. Beispielsweise kommt bei Vaginismus der Entspannung und eventuelle Aufarbeitung negativer Vorerfahrungen eine besondere Bedeutung zu. Bei sexuellen Funktionsstörungen kann ein Sensualitätstraining für das Paar hilfreich sein. Speziell bei Erektionsstörungen werden unter anderem Teasing-Übungen empfohlen.

Sexuelle Funktionsstörungen

Hierunter fallen Störungen des sexuellen Verlangens und des Reaktionszyklus. 
Der sexuelle Reaktionszyklus wird in 5 Phasen unterteilt:

  • Appetenzphase: Das sexuelle Interesse steigert sich, noch bevor es zur eigentlichen sexuellen Interaktion kommt. 
  • Erregungsphase: Wird man miteinander intim, kann die Erregungsphase Minuten, aber auch Stunden andauern. Der Puls sowie Blutdruck steigen und die Sexualorgane werden stärker durchblutet (Sex Flush). 
  • Plateauphase: das sexuelle Begehren und die Muskelspannung steigen, bei Frauen weiten sich die Schamlippen, bei Männern gibt der Penis Lusttropfen ab. 
  • Orgasmusphase: Der Blutumlauf steigt auf ein Maximum. Es kommt zu spontanen, rhythmischen Muskelkontraktionen in der Genital- und Analregion. Die Herz-, Kreislauf- und Atmungstätigkeit sind auf einem Höhepunkt – dieser körperliche Höhepunkt muss aber nicht mit dem emotionalen übereinstimmen. 
  • Entspannungsphase: Die Geschlechtsorgane schwellen wieder ab, der Körper kehrt in Ausgangszustand zurück. Männer brauchen eine Erholung von ein paar Minuten, bei steigendem Alter auch mehrere Tage, bis sie wieder einen Orgasmus haben können. Bei Frauen sind auch mehrere hintereinander möglich. 

Sexuelle Unlust - Störung der sexuellen Appetenz

Bei jedem Menschen kann es aus unterschiedlichen Gründen zu einem Mangel oder Verlust von sexuellem Verlangen kommen. Dies schließt eine sexuelle Befriedigung nicht aus, sondern bedeutet, dass sexuelle Aktivitäten von der betroffenen Person seltener initiiert werden. 

Bei sexueller Aversion wird der genitale Kontakt vermieden. 

Ein weiteres Störungsbild ist das der mangelnden sexuellen Befriedigung: Dabei läuft die Sexualität relativ „normal“ ab, aber der Orgasmus wird ohne Lustgefühl erlebt. 

Störungen der sexuellen Erregung

Erektionsstörungen zählen zu den häufigsten Gründen, warum Männer eine Behandlung aufsuchen. Eine psychische Ursache dafür wird angenommen, wenn die Erektionsprobleme eher nur beim Geschlechtsverkehr – und nicht beim Petting oder Masturbieren – vorkommen. 
Priapismus ist sozusagen das Gegenteil. Es besteht hier eine starke, länger bestehende Erektion, die schmerzhaft werden kann. 

Bei Frauen kann es zu wenig bis keiner Lubrikation der Scheide oder wenig bis kein Anschwellen der äußeren und inneren Schamlippen bei Erregung kommen. Dies hängt meist mit Schmerzen beim Geschlechtsverkehr, die in der Vergangenheit aufgetreten sind, zusammen. Auch kann eine Unzufriedenheit mit dem Partner/der Partnerin dazu beitragen. Menopause, Medikamente und Krankheiten können ebenfalls eine Rolle spielen. 

Schmerzen beim Sex

Bei Männern: Bei der Dyspareunie kommt es zu wiederkehrenden oder anhaltenden genitalen Schmerzen in Verbindung mit dem Geschlechtsverkehr. Wenn keine körperliche Ursache vorhanden ist (z.B. Phimose) liegt es meist an einer Überempfindlichkeit der Eichel oder tritt als Folge von fehlender weibliche Lubrikation auf. 

Bei Frauen: auch sie können an Dyspareunie, also wiederkehrenden oder anhaltenden Schmerzen beim Geschlechtsverkehr leiden. Die Schmerzen können vulvovaginal oder tiefer im Becken sein und noch länger nach der Penetration anhalten. Die Betroffenen schämen sich häufiger dafür, vermeiden sexuelle Kontakte und begeben sich oft erst bei Kinderwunsch in Behandlung. Fehlende Lubrikation der Scheide, Menopause, früherer Missbrauch und Vaginalinfektionen können ebenfalls eine Rolle spielen. 

Vaginismus

Vaginismus beschreibt ein Störungsbild, bei dem es zu wiederkehrenden oder anhaltenden unwillkürlichen Spasmen der Vagina umgebenden Beckenbodenmuskulatur und des äußeren Drittels der Vagina kommt. Das Einführen eines Penis, aber manchmal auch Tampons und Co., ist erschwert oder unmöglich. 

Probleme beim Orgasmus

Orgasmusstörung bei Männern: Hierunter fallen die Ejaculatio retarda und die Ejaculatio praecox. Bei ersterer wird der Geschlechtsverkehr anfangs noch genossen, bis sich dann Erwartungsängste oder unangenehme Gefühle einstellen. Grund können Beziehungs- oder Sexualängste, mangelnde sexuelle Appetenz oder Desinteresse am Partner sein. Auch können serotonerge Medikamente diese Nebenwirkung hervorrufen. Beim vorzeitigen Orgasmus kommt es bei minimaler sexueller Stimulation zur Ejakulation. Ungefähr ein Viertel aller Männer machen sich Sorgen, dass sie zu früh zum Orgasmus kommen, jedoch scheint es nur bei 3% tatsächlich behandlungswürdig zu sein.

Orgasmusstörung bei Frauen: hier tritt ein anhaltendes oder wiederkehrendes Verzögern oder Fehlen des Orgasmus auf. Es wird zwischen lebenslange und erworbene Anorgasmie unterschieden. Circa 10% der Frauen erleben nie einen Orgasmus. Partnerschaftsprobleme, Kultur, Religion, Medikamente und verschiedene Krankheiten können dabei eine Rolle spielen. 

Störungen der Sexualpräferenz

Hier haben die Betroffenen einen Drang nach einem unüblichen Sexualobjekt oder unüblicher sexueller Stimulierung. Die Diagnose einer Paraphilie wird gestellt, wenn die Person nach diesen sexuellen Impulsen handelt und/oder darunter leidet, den Impulsen nicht widerstehen zu können. Die Symptomatik muss über mindestens 6 Monate bestehen. 

Es gibt folgende Paraphilien: 

Exhibitionismus

hier zieht die Person einen Lustgewinn daraus, seine Geschlechtsorgane ohne Aufforderung anderen Personen zu zeigen. Ein weiterer Aspekt, der zur Erregung führt, kann hier der erschreckende Effekt davon sein. Häufig wird diese Störung aber von den Betroffenen selbst als zwanghaft erlebt. Ein Grund für diese Handlungen kann sein, dass durch das exhibitionistische Verhalten ein psychischer Spannungsabbau stattfinden kann. 

Fetischismus

Evolutionär gesehen gibt es laut der Preparedness-Hypothese bestimmte Gegenstände, die eher zu Fetischobjekten werden als andere. Dabei gibt es 3 Klassen mit bestimmten Eigenschaften von Fetischen: 1) ein Körperteil, 2) die leblose Erweiterung eines Körpers (Kleidung), 3) die besondere Qualität einer taktilen Sensation (Beschaffenheit eines Materials). In vielen Fällen gehören auch andere sensorische (z.B. gustatorisch, olfaktorisch) Qualitäten dazu. Epidemiologisch haben eher Männer einen Fetisch. Das liegt daran, dass in vielen Kulturen die Männer um die Frauen werben und dieses Werbeverhalten durch „Fetischobjekte“, mit denen sich die Frauen schmücken, angetrieben wird. Früher war es z.B. eher samtene, seidene Kleidung, heutzutage mehr Lack und Leder. 

Transvestitismus

Transvestitismus bezeichnet das Verkleiden (cross-dressing) als das andere Geschlecht. Frauen sind dabei gleich häufig betroffen wie Männer, mit dem Unterschied, dass es heutzutage bei Frauen nicht mehr auffällt. Als Störung gilt es nur, wenn es zur sexuellen Stimulierung gilt. Laut aktuellen Studien sollte Transvestitismus grundsätzlich nicht mehr als Störung eingestuft werden. 

Voyeurismus

Von einem Voyeur spricht man, wenn dieser den Hauptteil seiner sexuellen Erregung durch Beobachten von nackten Personen bzw. Personen, die Geschlechtsverkehr haben, hat. Dabei sucht der Voyeur keinen aktiven sexuellen Kontakt zu den Beobachteten. Auch erregend ist dabei der Aspekt des Erwischt-Werdens. Meist masturbieren Voyeure während dem Zuschauen. Gibt es kein Einverständnis der beobachteten Personen, gelten diese Handlungen natürlich als illegal. 

Frotteurismus

Dabei ziehen Betroffene sexuelle Erregung daraus, sich an anderen zu reiben. Häufig wird dieses Verhalten von den Opfern und der Polizei bagatellisiert („In der U-Bahn ist mir heute so ein komischer Mann zu nahe gekommen“) und die Opfer schaffen meist schnell körperliche Distanz. Die Dunkelziffer ist hier wahrscheinlich sehr hoch. 

Sexueller Sadismus

Betroffene erleben hier Erregung, wenn sie dem Sexualpartner körperlich oder psychisch Schaden oder Leid zufügen. Als Störung gilt es aber erst, wenn dieses Bedürfnis an Personen ausgeübt wird, die nicht einverstanden damit sind. Auch wenn der Sadist selbst darunter leidet oder andere Personen dadurch in Gefahr sind, liegt eine Diagnose nahe. 

Der inklinierende, also von beiden Seiten einvernehmliche, Sadomasochismus gilt heute nicht mehr als psychische Störung. 
Sexueller Masochismus kann in seltenen Fällen im Rahmen einer anderen psychischen Störung auftreten (z.B. bei Schizophrenie). Wird die primäre Störung behandelt, verschwinden meist auch die masochistischen Fantasien. Sehr gefährliche Praktiken, wie Sauerstroffdeprivation, elektrische Stimulationen oder Benutzung von Giftstoffen können darauf hinweisen, dass eine andere psychische Störung vorliegt oder dass die Gefährlichkeit der Praktiken nicht ernst genug genommen wird. Die meisten masochistischen Personen sind sich der Risiken aber sehr bewusst und lehnen unsichere Sexualpraktiken ab. 

Pädophilie

Hier kommt es zur sexuellen Erregung durch Kinder (meist unter 13 Jahre) und den Wunsch, die Fantasien in die Realität umzusetzen. Auffällig ist, dass manche Pädophile einen Mangel an Empathie für die Opfer haben und ihr Verhalten rationalisieren (z.B. „Das Kind wollte das auch, weil…“). Es gibt aber auch Pädophile, die ihre Neigung ablehnen, sich in psychologische und medizinische Behandlung begeben und Schritte einleiten, um kein Täter zu werden. 

Störungen der Geschlechtsidentität

Transidentität

Die meisten Personen empfinden eine Übereinstimmung zwischen ihrem biologischen und ihrem subjektiv empfundenen Geschlecht. Fühlt man sich aber, als wäre man in den falschen Körper geboren worden, spricht man von Geschlechtsdysphorie. In der Forschung werden die unterschiedlichen Typen der Geschlechtsidentitätsstörungen als Transgenderismus zusammengefasst. Ob er als psychische Störung gelten sollte, wird aber vielfach diskutiert. Auch gibt es keine Belege dafür, dass sich eine bereits in der Kindheit erkennbare Entwicklung in Richtung Transidentität durch therapeutische Behandlung umkehren ließe. Ein Aspekt, der zum Leid der Betroffenen beiträgt, ist eine intolerante Haltung der Gesellschaft, der man mit Öffentlichkeitsarbeit und Aufklärung entgegenwirken sollte. 

Intersexualität

Die betroffenen Personen können sich nicht als eindeutig weiblich oder männlich einordnen. Hier können die Chromosomen, die Keimdrüsen oder das Erscheinungsbild betroffen sein. Es liegt also eine körperliche Ursache zugrunde. Früher dachte man, die Eltern von intersexuellen Personen sollten sich so bald wie möglich auf ein Geschlecht des Kindes festlegen und demnach dann die Erziehung gestalten. Diese Praxis wurde aber von einigen erwachsenen intersexuellen Personen, die auf diese Weise erzogen wurden, kritisiert. 

Homosexualität

Homosexualität galt bis 1990 als psychische Störung – dies wurde aus den Klassifikationssystemen gestrichen, trotzdem werden Homosexuelle heutzutage immer noch diskriminiert. Homosexuelle zeigen meist schon in der Kindheit Tendenzen zu nicht-geschlechterrollenkonformen Verhalten. Beispielsweise können Buben hier eine Vorliebe für Puppenspielen haben. Drei Viertel derjenigen, die im Kindesalter eine Geschlechtsidentitätsstörung aufweisen, outen sich im Erwachsenenalter als homo- oder bisexuell. Mit dem Coming-out verschwindet dann aber auch die (vermeintliche) Geschlechtsidentitätsstörung. Die meisten Homosexuellen fühlen sich ja ihrem biologischen Geschlecht zugehörig, nur die sexuelle Orientierung ist gleichgeschlechtlich oder bisexuell. 

Anna Verena Schmid
Psychologin in Wien Umgebung